Mittwoch, 28. September 2011

Zerlenga - Der Mythos vom Geld - Kapitel 5 - 8, Auszüge


Auf der Seite wurden reichlich besonders aufschlussreiche Zitate aus dem Buch über "Das verlorene Wissen über das Geld" von

Stephen Zarlenga - "Der Mythos vom Geld - die Geschichte der Macht"

engl. "The Lost Science of Money: The Mythology of Money, The Story of Power"

gesammelt, um den Leser einen Blick auf die Gedankenwelt der Geldforscher zu gewähren und sie zur Lektüre des Buches anzuregen, zu erwerben z.B. bei Buch.de.  Kaum ein anderes Buch über das Geld ist so geldwert wie dieses.

Die Struktur des Buches, die Kapitel und Seitennumerierung wurden beibehalten. Das erleichtert dem Leser die volle Aussage des Autor in dem Buch wiederfinden. Ein Zitat kann nur dann richtig versanden werden, wenn der Kontext, die Einführung auch bekannt ist.




Kapitel 1 - 4
Kapitel 5 - 8
Kapitel 9 - 11
Kapitel 12 - 20
Kapitel 21 - 22


Zitaten
aus den Kapitel 5 - 8





                5 DIE KREUZZÜGE BEENDEN DEN WÜRGEGRIFF VON BYZANZ   89


 
5. Kapitel  Die Kreuzzüge beenden den monetären Würgegriff von Byzanz


Wie eine Seuche verbreitete sich mit einem Mal diese Raserei,
welche der Menschheit keine Heimsuchung ersparen sollte.

Voltaire

... Ohne die Kreuzzüge
hätte die monetäre Wiederbelebung Europas wahrscheinlich sehr viel
länger gedauert.

Im Jahre 1095 rief Papst Urban II. frenetisch zur Befreiung Jerusalems
von der moslemischen Herrschaft auf. »Gott will es«, rief die
aufgeregte Menge ...


Geopolitische Motive der Kreuzzüge
... Der erste Kreuzzug begann mit
dem Ersuchen des byzantinischen Kaisers um Hilfe bei der Rückgewinnung
der heiligen Stätten. ...


90   Geopolitische Motive der Kreuzzüge

  
Um diese Zeit war die Mehrheit der jüdischen Bevölkerung aus
Asien nach Europa gezogen. Der Ost-West-Handel über Spanien war
überwiegend in ihrer Hand. ... Die Judenpogrome in Europa, die von den er -
sten Kreuzfahrern bei ihrem Aufbruch zuerst in Köln und danach in
Mainz verübt wurden, zeigen, daß die Beschränkung der jüdischen
Macht auf mehreren Ebenen einer der Beweggründe für die Kreuzzüge
war ...

 die Bedeutung
der Juden im weltweiten Handel wurde nach der Aufnahme
von direkten Handelsbeziehungen zwischen Christen und Moslems
drastisch eingeschränkt. Damit wurden die Handelsverbindungen
zwischen europäischen und ägyptischen Juden gekappt. 1

Der erste Kreuzzug
 
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* Zwischen 1233 und 1248 wurden Cordoba, Sevilla und Toledo von den Spaniern zurückerobert. Nur Granada blieb unter der Kontrolle der Moslems.


            5 DIE KREUZZÜGE BEENDEN DEN WÜRGEGRIFF VON BYZANZ   91

 
Kreuzzugführer schworen Treueeide auf den byzantinischen Kaiser
und erklärten sich bereit, ihm alle eroberten Gebiete zu überlassen –
ein weiterer Beweis für dessen ungebrochene Vormachtstellung.

Nachdem genuesische Ingenieure eingetroffen waren und bewegliche
Türme gebaut hatten, nahmen die Kreuzfahrer am 15. Juli 1099
auf wundersame Weise Jerusalem ein.
... begingen im Namen des Christentums zahllose Greueltaten. (Abb. 16)
»Mehr als einmal wurden die Einwohner grausam abgeschlachtet,
nachdem man ihnen beim Verlassen der Stadt sicheres Geleit gegeben
hatte. Ihre Leichen wurden verbrannt oder aufgeschnitten, um das
Gold zu erbeuten, das sie angeblich geschluckt hatten.« 2


Neu entdeckte Reichtümer

... Die Kreuzfahrer fanden Zivilisationen
vor, die allen ihnen vertrauten Kulturen weit voraus waren. 3 So wurden
die Kreuzfahrer in Palästina wohlhabend: »Wer vorher nur ein
paar Münzen hatte, der besitzt hier unzählbar viele Solidi.« 4

In den christlichen Gebieten lebten insgesamt nur einige tausend
Juden, denen das Recht auf Grundbesitz verweigert wurde....

92   Der erste Kreuzzug



Die Unterschiede zwischen christlichen und moslemischen Führern

Das Verhalten der Christen stand in schroffem Gegensatz zu dem
der Moslems, vor allem des Sultans Saladin. Als Kurde in Tikrit geboren,
hatte Saladin die Moslems im Kampf gegen die Kreuzfahrer
geeint. ...

1183 eroberte Saladin Jerusalem zurück und ließ dabei Gnade vor
Recht ergehen. Kein Christ hatte unter schlechter Behandlung zu leiden.
Gegen ein Lösegeld durften die Bewohner die Stadt mit ihren
Habseligkeiten verlassen. ...

        5 DIE KREUZZÜGE BEENDEN DEN WÜRGEGRIFF VON BYZANZ   93


Saladin gab seinem Sohn den folgenden Rat: »Mein Sohn, ich befehle
Dich dem höchsten Gott, der Quelle aller Güte. Befolge seinen
Willen, denn auf diesem Wege liegt der Frieden. Weise von Dir das
Blutvergießen, vertraue nicht darauf, denn einmal vergossenes Blut
trocknet nie mehr. Strebe danach, die Herzen Deiner Völker zu gewinnen,
und wache über ihren Wohlstand, denn dazu wurdest Du
von Gott und von mir berufen, daß Du das Wohlergehen Deiner Völker
gewährleistest.« 11


Begegnung mit den »Ungläubigen«

Integration der »Ungläubigen«

... Der Handel brachte sie zusammen. Die
christlichen Seehäfen waren aktive Handelszentren. Christen liehen
sich manchmal Geld von Moslems aus und schlossen mit ihnen Jagd-


94   Der erste Kreuzzug


verträge ab.13 Christliche Herrscher borgten sich von den moslemischen
Herrschern oft deren hervorragende Ärzte.

Die Moslems hatten Teile des griechischen Kulturerbes und des römischen
Rechtssystems besser bewahrt als der Westen. ...

Der Aufstieg der Templer

Eines der bedeutenden Ergebnisse des ersten Kreuzzuges war die
Gründung des Templerordens, der ursprünglich den Namen Arme
Ritterschaft Christi vom Salomonischen Tempel trug. Zwischen 1114
und 1118 gegründet, widmete sich der Orden vorgeblich in erster Linie
dem Schutz der Pilger im Heiligen Land. Die Fahne der furchtlosen
Ritter war halb schwarz und halb weiß, was Tod für die Feinde und
Hilfe für die Freunde bedeutete. ... Hugo von Payens, ein Ritter aus der Champagne,
erwirkte im Jahre 1118 von König Balduin die Erlaubnis, sich mit
einigen Genossen im Königspalast in Jerusalem niederzulassen. Er
wurde der erste Großmeister der Templer, ...

            5 DIE KREUZZÜGE BEENDEN DEN WÜRGEGRIFF VON BYZANZ   95

 
... Gegen 1150 hatte sich der Templerorden
bereits als die mit Ausnahme des Papsttums weitaus reichste und
einflußreichste Einrichtung des Christentums durchgesetzt.15 

Der vierte Kreuzzug nach Konstantinopel

Byzanz hatte den dritten Kreuzzug vereitelt und war mit Saladin, der
Jerusalem hielt, ein Bündnis eingegangen. Bestimmte Kräfte im Westen,
darunter die Führung von Cluny, dem bedeutendsten religiösen
Zentrum Frankreichs, sowie vor allem Angehörige des Zisterzienserordens
schmiedeten nun gemeinsam ein Komplott gegen Byzanz.
Unter dem Vorwand, dem byzantinischen Kaiser Isaak II. und seinem
Sohn Alexios ihre bei einem Palastputsch verlorengegangene Macht
zurückzugeben, sah der geheime Plan eine Umlenkung des vierten
Kreuzzuges in einen Angriff auf Konstantinopel vor. 16

Der europäische Adel brachte diesem Vorhaben wenig Begeisterung
... Die große Ritterschaft erfuhr nichts von
dem Geheimplan; sie wurde nach und nach in die Täuschung hineinmanövriert.
Venedigs Flotte spielte dabei eine Schlüsselrolle. ...

Das Heer sammelte sich im Juni 1202 und stach in See. ...


96   Der vierte Kreuzzug nach Konstantinopel


... Die meisten Ritter rechneten mit einer
Überfahrt nach Ägypten, doch Venedig beabsichtigte nicht, seine
Truppen in Alexandria, mit dem es nach wie vor Handelsbeziehungen
unterhielt, landen zu lassen.

Die »begehrteste Stadt der Welt«

Mit einer Ausdehnung von 90 Quadratkilometern und einer Einwohnerzahl
von fast einer Million war Konstantinopel die größte
Stadt des Mittelalters. ...

Am 9. April griffen die Kreuzfahrer die Byzantiner an und schlugen
sie. Vom 13. bis zum 15. April wüteten die christlichen Invasoren
in der größten christlichen Stadt der Welt. ...

        5 DIE KREUZZÜGE BEENDEN DEN WÜRGEGRIFF VON BYZANZ   97


... Konstantinopels große Bibliothek
hatte im Jahre 476 gebrannt. 1204 besaßen einige Kirchen und
Klöster noch immer gute Sammlungen, vor allem das berühmte Studion-
Kloster. ...

Der Papst stimmte diesen religiösen und politischen Entscheidungen zu.

Die monetäre Bedeutung des vierten Kreuzzuges

Mit der Eroberung von Konstantinopel im Jahre 1204 wurde die seit
Julius Cäsar in Europa vorherrschende monetäre Macht des Römisch-
Byzantinischen Reiches offiziell beendet. ...

Mit dem Ende des Byzantinischen Reiches ging auch die monetäre
Kontrolle, über die vorher religiöse Institutionen verfügt hatten, in
säkulare Hände über. Das vierte Laterankonzil verkündete zwar bald
(1215) das Supremat des Papsttums über alle weltlichen Souveräne,
doch konnte es sich nicht durchsetzen. So nahm Kaiser Friedrich II.
das Vorrecht des Basileus für sich in Anspruch und prägte 1225 in


98   Die monetäre Bedeutung des vierten Kreuzzuges


Neapel Goldmünzen mit einem Feingehalt von 82 Gran. ...

Ihm taten es lokale Herrscher in ganz Europa gleich: ...

Die Kriegsbeute

Von Konstantinopel wurde eine riesige Beute nach Europa zurückgebracht.
Ihr Wert wird in offiziellen Angaben unterschätzt, denn die
Plünderer brachten nur einen Teil davon in den großen gemeinsa -
men Topf ein, der Silber im Wert von etwa 400 000 Mark Gewicht
umfaßte. Die Venezianer etwa sollen ihre Beute zum Großteil auf
ihren Schiffen gelagert haben, anstatt sie mit der Beute der anderen
zusammenzulegen. ... Allein unter dem Altar der Hagia Sophia entdeckte
man vierzig Fässer Gold.18 Jacobs schätzt, daß die Plünderung Konstantinopels
mehr Edelmetall-Reichtum nach Europa brachte als der
gesamte Handel der vorangegangenen Jahrhunderte.19

Die Rückkehr der erbeuteten Edelmetalle gab dem Leben in Europa
einen wichtigen monetären Auftrieb und war vermutlich der
Hauptgrund dafür, daß Europa letztendlich die magische Schwelle
erreichte, d. h. über die entscheidende Geldmasse verfügte, die für das
Funktionieren eines effektiveren, fortschrittlicheren Geldsystems erforderlich
ist – die Geldmasse, die die Wiedereinführung des Nomisma
ermöglichte
.
Die monetäre Wiederbelebung Europas

            5 DIE KREUZZÜGE BEENDEN DEN WÜRGEGRIFF VON BYZANZ   99

 
.... In
Europa fanden sie eine viel bessere Verwendung: ... zum Bau der großen
europäischen Kathedralen, ...
bei der Ausweitung der finanziellen Tätigkeiten der Tempelritter.

Die finanziellen Neuerungen der Templer

Während ihrer Zeit im Osten machten sich die Ritter des Templerordens
schnell mit dem dortigen Geld- und Finanzwesen vertraut.
... den Grundstein für die Entstehung
des Bankwesens in Europa: »Historiker führen den Ursprung und
die Entwicklung der wirtschaftlichen Institutionen im Westen in der
Regel auf die jüdischen Geldverleiher und die großen italienischen
Handelshäuser und Konsortien zurück. In Wirklichkeit jedoch waren
die jüdischen Geldverleiher im Vergleich zu den Templern von untergeordneter
Bedeutung. Die Templer waren nicht nur die Vorläufer
der italienischen Handelshäuser, sondern sie führten auch die Mechanismen
und Methoden ein, die von diesen Häusern später übernommen
wurden. In der Tat kann die Entstehung des modernen
Bankwesens dem Templerorden zugeschrieben werden. Auf dem
Höhepunkt ihrer Macht verwalteten die Templer einen Großteil,
wenn nicht sogar den größten Teil des in Westeuropa vorhandenen
Kapitals. Sie waren Pioniere auf dem Gebiet des allgemeinen Kreditwesens
sowie der zweckgebundenen Kreditvergabe zugunsten der
wirtschaftlichen Entwicldung.« 20

Byzanz unterdrückte das Bankwesen, doch die Templer waren
stark genug, um es trotzdem voranzutreiben. ...

100   Die finanziellen Neuerungen der Templer

 
Die Tempelritter wurden im Kreditgeschäft zu Konkurrenten der
Juden; sie konnten gegenüber säumigen Schuldnern mit größerer
Härte vorgehen und verlangten manchmal auch höhere Zinsen.
Doch letztendlich handelten sie als Mitglieder der Gesellschaft und
förderten so effektiv die wirtschaftliche Entwicklung. Wegen ihrer
Korrektheit und Ehrlichkeit genossen sie zudem einen ausgezeichneten Ruf.
...
Addison schätzte das aus dem Besitz von 9000 Gutshöfen oder
Lordschaften resultierende Jahreseinkommen der Templer in Europa
um 1300 auf etwa 6 Millionen Pfund Sterling. Gold machte etwa ein
Drittel ihrer Einnahmen aus. Die Templer standen im allgemeinen
über dem normalen Recht. Ihre Häuser waren geheiligte Orte. Sie
waren von den meisten Steuern und Abgaben befreit und konnten
normalerweise nicht vor Gericht gebracht werden. ds*)


Die Unterdrückung der Templer

Der Einfluß der Templer wurde offenbar zu groß, denn am Freitag,
dem 12. Oktober 1306, ließ der französische König Philipp IV. alle
französischen Templer verhaften. ... Bei der Razzia leisteten
sie jedoch keinen Widerstand. ... In Extremfällen
steht politische Macht letztendlich über monetärer Macht.
Da alle Versuche, die Templer unter päpstliche Kontrolle zu bringen,
scheiterten, löste Papst Klemens V. im Jahre 1312 auf Druck Philipps
des Schönen den Orden auf und übergab seine Besitztümer an den
Johanniterorden. ...
  
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ds*)  Das entspricht  etwa der Stellung der heutigen Banken bzw. der Superreichen.

        5 DIE KREUZZÜGE BEENDEN DEN WÜRGEGRIFF VON BYZANZ  101


Das Verschwinden des Templerschatzes

Kurz vor der groß angelegten Verhaftungsaktion im Jahre 1307 verließen
die Pariser Tempelritter die Schatzkammer des Ordens mit
zahlreichen Packpferden. ...
...
Durch die Templer entstanden die Rittersagen vom »Heiligen
Gral«, ... der die Macht besitzt,
alles wiedergutzumachen ...

Die Templer tauchten später in einigen Freimaurerlogen wieder
auf. Sie wurden weiterhin vom Papst verfolgt.  ...

Die Weltanschauung der Freimaurer faßte der Freimaurer Ramsay
so zusammen: »Die Welt ist nichts anderes als eine riesige Republik,


102   Die finanziellen Neuerungen der Templer


in der jede Nation eine Familie und jeder einzelne ein Kind ist.« ...
... heutzutage weit verbreiteten
Vorstellung von der einen Welt, in der die Nationen ohnmächtig
sind und es nur noch international operierende Finanzinstitutionen,
den IWF und Sklaven gibt. ... Benjamin Franklin war Amerikas berühmtester
Freimaurer. Er war ab 1734 Großmeister von Pennsylvania.  ... 22

    6 DIE MONETÄRE VORHERRSCHAFT IN DER RENAISSANCE   103


 
6. Kapitel  Der Kampf um die monetäre Vorherrschaft in der Renaissance


Und all die Pferde des Königs und all die Männer des Königs,
die konnten Humpty nicht wiederherstellen.
                                                                                   Kinderreim


Mit dem Niedergang des Byzantinischen Reiches ging
auch das Geldsystem Cäsars zu Ende, das über 1200 Jahre in Kraft gewesen
war. ... Damit begann der Kampf um die monetäre Vorherrschaft,
der 500 Jahre bis zur Gründung der Bank of England andauern
sollte.

... ,  war das Mittelalter nicht so primitiv, wie zuvor vermutet.
Er verneint, daß es damals keine Planung, keine intelligente
Führung und keine geeignete Kontrolle über die Buchführung gab.
Auch im Mittelalter sei es ausgeschlossen gewesen, Geschäfte planlos,
aufs Geratewohl zu machen, denn der harte Wettbewerb und äußerst
geringe Gewinnspannen zwangen die Händler, ihre Entscheidungen
sorgfältig abzuwägen.1


Wachsende Verstädterung und Spezialisierung


104   Wachsende Verstädterung und Spezialisierung


... Außer
in Teilen von Flandern und der Toskana wohnte in den Städten meist
weniger als ein Zehntel der Bevölkerung, und die Verfassung jeder
Stadt galt nur innerhalb der jeweiligen Stadtgrenzen; außerhalb davon
galten andere Gesetze. Nach Pirenne existierte die Landbevölkerung
für die Stadtbürger nur, um ausgebeutet zu werden.

Im Laufe des 12. und 13. Jahrhunderts ging fast der gesamte städtische
Grundbesitz an die Kaufleute, die ihre überreichen Reserven in
Wohnhäuser investierten. Die Umwandlung dieser Böden in Bauland
hatte ein stetiges Bevölkerungswachstum zur Folge, was höhere Mieteinnahmen
versprach, so daß sich viele Kaufleute ab der Mitte des 13.
Jahrhunderts aus dem Handel zurückzogen und zur Ruhe setzten.2


Die Handelsmessen

Hauptantriebsfeder des Handels waren die großen Handelsmessen,
die seit dem 11. Jahrhundert von den Gebietsfürsten gefördert wurden.
...
Die Messen, zu denen Händler mit ihren Waren und ihren Gold und
Silbermünzen von weit her kamen, waren »Freihandelszonen«,
während der Messen wurden keine Steuern erhoben ...

Der Verrechnungsmechanismus der Messen

Das monetäre Hauptmerkmal dieser Veranstaltungen war ein besonderer
Mechanismus zur Verrechnung gegenseitiger Geldforderungen:
Die Einkäufe und Verkäufe der Kaufleute wurden miteinander
verrechnet, Einnahmen und Ausgaben wurden am Ende der Messe
ausgeglichen.  ...


    6 DIE MONETÄRE VORHERRSCHAFT IN DER RENAISSANCE  105

 
... Die Messe in der Champagne gab sogar ihre eigene symbolische Messewährung aus.3

Die erfolgreichste Zeit dieser Handelsmessen waren die Jahre zwischen
1250 und 1300. ... So wurden im Laufe der Zeit
Städte wie Antwerpen zu Freihandelszonen oder ständigen Messen.


Münzen im Umlauf

... Die mittelalterlichen Geldsysteme waren entweder direkt
oder indirekt an Gold und Silber gekoppelt. Sie existierten auf der
Grundlage umlaufender oder nicht mehr zirkulierender Münzen ... 4


»Pecunia nervus bellum«

»Geld ist die Triebfeder des Krieges« – dies war ein Leitsatz in jener
Zeit. Im 13. und 14. Jahrhundert entwickelte sich der Wehrdienst zu
einem Beruf, und im 15. Jahrhundert beanspruchte die Armee eine


106   Die Handelsmessen


kompetente Führung und enormes Kapital. Vor allem die Schweizer,
Deutschen und Spanier verfügten über große Söldnerheere. ...

... die Schulden der Fürsten waren bis zum
16. Jahrhundert für ihre Nachfolger nicht bindend, so daß der Besitz
der Fürsten nicht einfach gepfändet werden konnte. Städte dagegen
galten wegen ihrer dauerhaften Existenz als sicherere Kreditnehmer.

Die Münzstätten der Könige

Nördlich der Alpen, wo Könige und Fürsten über größere Gebiete
herrschten, lag die monetäre Macht naturgemäß bei deren Münzstätten.
In England verfügte nur der König über die Geldmacht. In
Frankreich hingegen hatten sich 300 Vasallen das Münzrecht angeeignet;
unter den Kapetingern versuchte die Krone ständig, das
Münzrecht wieder an sich zu reißen. Anfang des 14. Jahrhunderts besaßen
immer noch 30 Vasallen das Münzrecht.5 ...

Viele Fürsten machten mit der Abwertung der Währungen ein Bombengeschäft 7

Dieser oft als Ära des königlichen Mißbrauchs der Geldmacht beschriebene
Zeitraum von etwa 1350 bis 1450 wird nach wie vor von
manchen Bankenvertretern als ein Argument gegen ein staatlich kontrolliertes
Geldwesen angeführt. Heute muß diese Zeit aber auch im


    6 DIE MONETÄRE VORHERRSCHAFT IN DER RENAISSANCE   107

 
Zusammenhang mit der von Spufford dokumentierten extremen Silberknappheit
in Europa gesehen werden.
...

Münzverschlechterung als Steuerersatz

... eine Münzverschlechterung die Funktion einer effektiven Steuer


108   Die Münzstätten der Könige

 
hatte, indem sie eine von allen Untertanen zu entrichtende Abgabe
darstellte, die zudem relativ leicht zu verwalten war.10 ...
Bereits 1340 hatte sich die Erkenntnis durchgesetzt, daß die Münzverschlechterung
zwar sehr gut für die Arbeit und relativ gut für
Industrie und Handel, aber schlecht für die Pachteinnahmen der
Grundbesitzer war. Die Münzverschlechterungen wurden eingestellt,
nachdem die Landbesitzer erfolgreich die Schriften des Nikolaus von
Oresme ds*), in denen er dieses Vorgehen verurteilte, propagiert hatten.

Die mittelalterlichen Geldverleiher

Vom 10. bis zum 13. Jahrhundert waren die päpstlichen Kassierer
die ersten christlichen Geldverleiher. Auch reiche Klöster gewährten
Darlehen, doch ab etwa 1200 taten sie dies nur noch selten.
... die Kirche setzte ein Verbot für Wucher durch.

Die Tempelritter mit ihrer Kette von Niederlassungen in der Levante
waren im 13. Jahrhundert die bedeutendste Geldmacht (siehe
5. Kapitel). Mit der Unterdrückung der Templer 1307 wurde das

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ds*) Nach Oresme: das Recht, Münzen zu prägen, stehe nicht dem Souverän(dem Herrscher), sondern der Bevölkerung zu. Das war moderner, als unsere heutige Theorien, für uns generieren das Geld seltsam "unabhängige" Zentralbanken.

6 DIE MONETÄRE VORHERRSCHAFT IN DER RENAISSANCE   109


Finanzfeld den Italienern überlassen. Von den Kreuzzügen hatten die
Templer die doppelte Buchführung mitgebracht, die dann von den
Italienern perfektioniert wurde. Wie De Roover bestätigt, waren die
großen italienischen Bankhäuser in allen Zentren die wichtigsten
Geldverleiher und beherrschten quasi den Geldmarkt.12 Außer vielleicht
für England ist die Bedeutung der jüdischen Geldverleiher im
Mittelalter allgemein weit überschätzt worden: ... Je
weiter ein Land wirtschaftlich entwickelt war, desto kleiner war die
Zahl der dort ansässigen jüdischen Geldverleiher. So gab es beispielsweise
in Flandern nie mehr als eine unerhebliche Zahl von ihnen,
während sie im Osten Europas mit der Zeit immer mehr wurden.
... Die Juden im Westen wurden zu bloßen Pfandleihern degradiert.13


Privatbanken

Depositenbanken in Katalonien

Die ersten Depositenbanken wurden Anfang des 13. Jahrhunderts im
spanischen Katalonien gegründet, etwa zur gleichen Zeit wie die Casa
di San Giorgio in Genua. Die Aufgabe der Depositenbanken bestand
im allgemeinen in der sicheren Verwahrung der Einlagen und der
Ausführung von Überweisungen, nicht aber im Geldverleih. In Katalonien
hingegen lieh sich die Krone beträchtliche Summen von jüdischen
Geldverleihern und den Templern aus. Im Jahre 1251 wurden
hier das römische und gothische Recht sowie die kirchlichen Dekretalien
für ungültig erklärt.14

Diese Banken waren Privatunternehmen. ...
»Kein Geldwechsler, der scheitern könnte, und keiner, der
kürzlich oder in der Vergangenheit gescheitert ist, soll jemals wieder
eine Bank führen oder ein Amt unter der Krone bekleiden können.«
...

110   Privatbanken


 »Wird keine derartige Vereinbarung getroffen,
soll der besagte Geldwechsler bankrott erklärt werden und vom
Ausrufer an allen Orten seines Scheiterns und in ganz Katalonien
öffentlich bloßgestellt werden. Er soll enthauptet werden, und sein
Besitz soll zugunsten seiner Gläubiger vom Gericht veräußert wer -
den. ... Weder wir noch der höchste gesetzliche Erbe, noch unsere
Nachkommen dürfen den Geldwechslern vergeben, die gescheitert
sind und auch künftig scheitern könnten.« In Erfüllung dieser Gesetze
wurde 1360 ein Geldwechsler namens Castello vor seiner Bank
enthauptet 15  ds*)

Die italienischen Bankhäuser

Nur die Italiener nahmen im 14. Jahrhundert »Fremdinvestitionen«
vor. Ihre wesentlichen Verleihinstrumente waren Finanzwechsel und
Wechsel. Die Verzinsung risikofreier Darlehen war grundsätzlich von
der Kirche verboten. Doch weil es Händler gab, die Geld aufnehmen
mußten, und Bankiers, die Geld verleihen wollten, fanden sich Mit -
tel und Wege, um das Verbot zu umgehen. Einer der Tricks bestand
darin, einen bestimmten Betrag als Vorschuß auf die Währung einer
bestimmten Stadt zur Verfügung zu stellen. Dieser Betrag wurde
durch einen über eine höhere Summe ausgestellten Wechsel in der
Währung einer anderen Stadt garantiert und nicht als Darlehen, sondern
als Devisentransaktion bezeichnet.

Diese Zahlungsform ist mit einem vordatierten, nach einigen Monaten
zahlbaren Scheck in einer ausländischen Währung vergleichbar.
Der Zins war im Unterschied zwischen der vorgestreckten Summe
und der Höhe des Wechsels enthalten. Der Wechsel wurde jedoch
manchmal gar nie eingelöst. Der Entleiher bezahlte dann den Kredit
in lokaler Währung zurück. Dieser Vorgang wurde als »trockener
Wechsel«* bekannt.
...

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* Auch: eigener Wechsel. (A. d. Ü.)
ds*) Ohne Zweifeln, eine Barbarei, aber unterscheidet sie sich von der  Barbarei der Banken gegenüber dem Volk, wie heute?

     6 DIE MONETÄRE VORHERRSCHAFT IN DER RENAISSANCE   111


Die Struktur der italienischen Handelsbanken

... 1458 besaßen die Medici weltweit sieben Niederlassungen. Ihre jeweiligen
Leiter erhielten einen Teil der Gewinne, investierten aber
auch Kapital. ... Außerdem
nahmen sie bevorzugt Zeiteinlagen von wohlhabenden Italienern
– darunter auch Kleriker und Fürsten – entgegen, für die sie im
voraus festgelegte Kapitalerträge von 7,5 bis 10% ausschütteten.


112   Privatbanken


Jahreszeitliche Schwankungen der Kurse

Kaufleute und Bankiers kannten die Schwankungen im Handel, ...

Die Kurzsichtigkeit früher Bankiers

Zwar wird viel Aufhebens vom Geldmißbrauch der Könige und Fürsten
gemacht, doch wird dabei leicht übersehen, daß es die Privatbanken
oft noch viel schlimmer trieben. 1339 waren die Florentiner
Medici ruiniert, weil sie sich bei der Kreditvergabe an König Eduard
III. von England übernommen hatten. König Eduard III. war nämlich
nicht in der Lage, seine Schulden über etliche Millionen Goldflorin
an sie zurückzuzahlen, nachdem der Krieg gegen Frankreich
für England schlecht ausgegangen war. Als Folge davon geriet Florenz
in Aufruhr. Die Zünfte übernahmen die Regierungsgewalt, vertrieben
die Bankiers und beschlagnahmten ihren Besitz.

Die cleveren Medici gaben jedoch nicht auf und gewährten Eduard
IV. ein Darlehen für seine »Rosenkriege«. Gleichzeitig vergaben sie
auch ein Darlehen an die von Eduard bekämpften Rebellen – für alle
Fälle. ...

        6 DIE MONETÄRE VORHERRSCHAFT IN DER RENAISSANCE 113

 
Die Lombarden

Die Lombarden waren im wesentlichen Pfandleiher, die gegen Hinterlegung
eines Pfands aus dem Privatbesitz ihrer Kunden Darlehen
vergaben. Sie waren in ganz Europa tätig, ...

... Wie die Juden
berechneten die Lombarden gewöhnlich 43,5% Zinsen im Jahr. Die
mittelalterlichen Pfandhäuser waren ideale Orte der Hehlerei, an denen
Diebesgut billig aufgekauft und danach zu normalen Preisen
weiterverkauft wurde. ...16


Staatseigene Banken

Im Jahre 1400 wurde in Barcelona eine städtische Depositenbank als
Abteilung der Stadtverwaltung, die für ihre Verbindlichkeiten haftete,
gegründet. Die Bank sollte Kontoüberziehungen nur der Stadt
gestatten, räumte aber auch städtischen Funktionären großzügige
Überziehungskredite ein.

Die Bank von Barcelona hatte keine Monopolstellung, da es neben
ihr auch Privatbanken gab. Um 1433 schien das Verhältnis des Schuldenkapitals
zum Eigenkapital der Bank bei 3 :1 zu liegen, betrug aber
in Wirklichkeit ungefähr 10 : 1, weil die Bank der Stadt und anderen
Kunden gegenüber Überziehungskredite genehmigt hatte, die ihre
verfügbaren Einlagen um das Zehnfache überstiegen! 17

Während der schweren Silberknappheit von 1468 (siehe 4. Kapitel,
oben Seiten 84/85) zwang ein akuter Münzgeldmangel die Bank zur
Aussetzung ihrer Zahlungen. ...


114   Die große Entdeckung: Banken schöpfen Geld


Die große Entdeckung: Banken schöpfen Geld

Sowohl die Templer als auch die italienischen Handelsbankiers sowie
die großen deutschen Leihhäuser mußten schnell erkannt haben, daß
sie über die Macht verfügten, mit dem »bargeldlosen Zahlungsverkehr« Geld abzuschöpfen.

Die Banken nahmen Einlagen entgegen, für die sie im allgemeinen
Zinsen zahlten, und gaben gegen höhere Zinsen Darlehen aus oder
verwendeten das Geld zum Ankauf von Wechseln (vordatierten Barschecks)
unter Abzug eines Zinses. ... Der Kreditnehmer
konnte über dieses Konto Schecks ausstellen, die wiederum
nicht unbedingt eingelöst werden mußten, sondern einem anderen
Konto bei derselben Bank gutgeschrieben werden konnten.

Nachdem die Bankkunden dazu übergegangen waren, ihre Geschäfte
nicht mehr mit Münzgeld, sondern mit Wechseln (Schecks)
abzuwickeln, konnten die Banken die scheinbar umlaufende Geldmenge
durch diese Gutschriften um ein Vielfaches vergrößern.

Diese Möglichkeit stellte in vieler Hinsicht eine bedeutendere monetäre
Macht dar als die Kontrolle der Könige über die Münzstätten.
...
Zum einen stellten sie ihre eigenen Wechsel zur Verwendung in
ihren eigenen Geschäften aus. Zum anderen schöpften sie das Geld
für die von ihnen ausgegebenen Darlehen durch einen buchhalterischen
Akt und verlangten dafür auch noch Zinsen! Sie entzogen der
Gesellschaft Waren und Geldmittel, ohne selbst einen gesellschaftlichen
Beitrag zu leisten. Dieses Vorgehen war inflationär, und da auf
betrügerische Weise vorgetäuscht wurde, daß die Bankpapiere in Metall
eingelöst werden könnten, brach das System in dem Moment in


    6 DIE MONETÄRE VORHERRSCHAFT IN DER RENAISSANCE 115

 
sich zusammen, da mehr Wechsel ausgestellt waren, als die Banken
Münzen in Reserve hielten.

... gibt es Hinweise
darauf, daß solches Bankengeld vor allem dort entstand, wo
Geld bereits in Hülle und Fülle vorhanden war. 18

Diese Form der Bankgeschäfte griff im ausgehenden 13. Jahrhundert
immer mehr um sich, ...

... diese Bankgeschäfte auch von bestimmten
Klöstern und vor allem von den Tempelrittern vorangetrieben wurden.
Im Jahre 1409 beliefen sich beispielsweise die Reserven in Münzen
der Casa di San Giorgio in Genua nur noch auf knapp 10% der
Einlagen.

Diese Schöpfung von Geldeinlagen wurde in keiner Weise reguliert.
Zwar unterwarf sich die Zunft der Bankiers zeitweise einer Art
»freiwilliger Selbstkontrolle«, doch bezog sich diese vor allem auf die
korrekte Buchführung. In Florenz beispielsweise mußten die Einträge
in die Bücher vorgenommen werden, bevor der Kunde das
Bankgebäude wieder verließ. Außerdem mußten die Einträge in römischen
Ziffern geschrieben werden, da arabische Ziffern zu leicht
zu fälschen waren. Herausgerissene Buchseiten wurden mit großem
Mißtrauen beäugt. Lücken oder Streichungen waren nicht erlaubt.
Die Zunft verhängte Bußgelder und meldete alle Regelverstöße der
Stadtverwaltung.


116   Die große Entdeckung: Banken schöpfen Geld

 
.... Mit dem intensiven Ausbau des Geldumlaufs
in fernab von Konstantinopel gelegene Regionen wurde die
industrielle und wirtschaftliche Entwicklung gefördert. Bauern begannen,
ihr Land zu kaufen. Die Zinssätze fielen von 20-22% im
Jahre 1200 auf 5-8% 1350. Die Einkommen in der Stadt Florenz stiegen
zwischen 1240 und 1343 um das Elffache! Florenz prägte jährlich
350 000 bis 400 000 Goldflorin, die zur Standardwährung in ganz
Europa wurden 19 Das »finstere Mittelalter« war vorbei.


Die Fugger

Als nächste kamen die Fugger auf, die berühmten deutschen Geldverleiher
aus Augsburg. ...

Die Fugger hatten das Geldverleihgeschäft von den Italienern gelernt.
1367 hatte der Weber Hans Fugger mit 3000 Florentiner Gulden
das Fuggersche Handelshaus gegründet. Sein Urenkel Jakob Fugger
II. ... Seine Ausbildung erhielt er im
Fondaco dei Tedeschi, dem Haus der deutschen Kaufleute in Venedig.
 
1488, kurz nach der schlimmsten Phase des Silbermangels in Europa,
brachten die Fugger die Silberminen im Tirol, dem damals größten
Silbervorkommen Europas, unter ihre Kontrolle, indem sie dem
Erzherzog 150 000 Gulden liehen.... und
verfügten fast 100 Jahre lang über das Münzrecht. 20 ... Ab
1525 waren sie die einflußreichsten Finanziers in Europa. Für kleine
Darlehen berechneten sie bis zu 30%, für große Darlehen dagegen
nur 2% Zinsen. ... Die Wechsel der Fugger galten als ebenso sicher
wie Gold und wurden zu einem verbreiteten Wertpapier im täglichen
Handel.


        6 DIE MONETÄRE VORHERRSCHAFT IN DER RENAISSANCE   117

 
Die Fugger waren weltweit tätig. Sie hatten eine Niederlassung in
Antwerpen und eine Vertretung in Indien. Das Fuggcrsche Handelshaus
blieb über mehrere Generationen hinweg fest in den Händen
der männlichen Fugger-Erben. Die Fuggerinnen erhielten eine großzügige
Mitgift.

Zu den Kreditnehmern der Fugger zählten Kaiser Maximilian,
Königin Elisabeth I. und verschiedene Fürsten und Kleriker. 1519
unterstützten die Fugger Karl V., den Enkel Kaiser Maximilians und
König von Spanien, in seinen Bemühungen, Kaiser zu werden. Sein
Hauptgegner war der König von Frankreich, Franz I. Die Bestechung
des Wahlgremiums (der Kurfürsten) kostete Karl 850 000 Florentiner
Gulden; ... Dennoch beliefen sich die Gewinne der Fugger in diesem
Zeitraum, zwischen 1511 und 1527, auf 1,824 Millionen Gulden. 22

Zuweilen mischten sich die katholischen Fugger auch in kirchliche
Angelegenheiten ein. Für seine Ernennung zum Mainzer Erzbischof
mußte Albrecht von Brandenburg dem Papst 30 000 Dukaten zahlen,
die er sich von den Fuggern auslieh. Für weitere 10 000 Dukaten
übertrug ihm der Papst das Ablaßgeschäft in Sachsen....
Mit Luthers Protest gegen den Ablaßhandel begann die Reformation. 23



118   Die Fugger


Die Fugger ... haben
sie zumindest der englischen Umgangssprache einen noch bedeutsameren
Beitrag hinterlassen: Das Verb »fuggern« (Handel treiben)
hatte in der Umgangssprache zudem eine negative Konnotation im
Sinne von Wucherei oder unsauberen Geschäftspraktiken 24 ...


Die Welser, Hochstetter und Tucher

Die Augsburger Welser waren die zweitgrößten deutschen Geldverleiher.
Wie die Fugger blieben auch sie der katholischen Sache treu.
Im Unterschied zu diesen versuchten sie jedoch, bei der Kreditvergabe
an Kriegsparteien immer neutral zu bleiben, wodurch sie allerdings
nur die Feindschaft beider Seiten auf sich zogen. Die Welser
hielten sich bis 1620, ihre Ulmer Filiale bestand noch bis ins 20. Jahrhundert
hinein fort. ...

Auch die Augsburger Hochstetter, die drittgrößten Finanziers jener
Zeit, waren katholisch. ...

        6 DIE MONETÄRE VORHERRSCHAFT IN DER RENAISSANCE   119

 
Brügge: die treibende Kraft im Norden

Das flämische Brügge war die Handelshauptstadt des Nordens. Flandern
war die am dichtesten besiedelte Region Europas und berühmt
für feines Tuch, ...

In Brügge war es üblich, Wechsel mit Banküberweisungen und
nicht in barer Münze zu bezahlen. 25 Anstatt Münzen auszuzahlen,
schrieben die Banken die Geldbeträge den Konten der Zahlungsempfänger
gut, ganz so, wie dies in der Regel auch heute geschieht.

Europas erste große Börse wurde in Brügge gegründet (Abb. 20).
Die flämische Bezeichnung »Burse« war der Nachname flämischer
Wirts- oder Kaufleute, deren Haus flämische Wertpapierhändler im
13. und 14. Jahrhundert häufig besuchten.


Brügges Münzgeld

Brügge prägte Silbermünzen mit dem Namen Groat (nach dem venezianischen
Grosso). ...

120   Brügge: die treibende Kraft im Norden

 
Die flämischen Geldwechsler

Gegen 1325-1350 war der Umtausch einer Währung in eine andere
der flämischen Geldwechslerzunft vorbehalten. Damals war es für
Kaufleute und Privatpersonen üblich geworden, ihre überschüssigen
Münzen zur Sicherheit bei Geldwechslern zu hinterlegen. ... Die Aufträge an die Geldwechsler
erfolgten mündlich. Die Einlagen wurden nicht verzinst.
Offenbar wurden auch für Kontoüberziehungen keine Zinsen berechnet!
Hingegen mußten den Geldwechslern Gebühren bezahlt
werden. 26

Die Brügger Geldwechsler bzw. Bankiers überwiesen Gelder von
Konten ihrer Kunden intern auf Konten anderer Kunden. Außerdem
nahmen sie Überweisungen an Kunden anderer Geldwechsler vor. Zu
diesem Zweck hatte jeder Geldwechsler bei jedem anderen Geldwechsler
ein Konto, auf das je nachdem eine Gutschrift oder Lastschrift
einging. Nach Ansicht von De Roover war diese Form des Verrechnungsmechanismus
seit 1200 auch in Genua gebräuchlich.


Die Hanse

... stellten die Hanseaten eine Verbindung zum Osten
und dem Ostseeraum her. ...


        6 DIE MONETÄRE VORHERRSCHAFT IN DER RENAISSANCE  121

 
Das althochdeutsche Wort »Hansa« bedeutet »Kriegerschar«. ...
Die Gründung der Hanse geht wohl auf die Initiative Lübecks zurück
(gegründet 1143), das rasch zu einem wichtigen Umschlagplatz für
den Ostseehandel wurde.

... Die Mitgliedschaft erfolgte durch
Antragstellung der Städte. Nicht Zwang, sondern Eigeninteressen
hielten das Bündnis zusammen. In ihrer Blütezeit um 1450 zählte die
Hanse ungefähr 180 Mitgliedstädte.


Die Aktivitäten der Hanse

Die Hanse beschützte ihre Kaufleute in ausländischen Häfen und
handelte besondere Privilegien für sie aus, vor allem Steuerbegünstigungen.
Sie hatte vier Hansekontore:* Brügge, London, Nowgorod
(Rußland) und Bergen (Norwegen). Diese Kontore dienten als Handelsaußenposten,
Warenlager, Hotels und waren mit Ausnahme von
Brügge befestigt. ...

Hanse besaß jahrhundertelang das beste Schiff der Ostsee: die Kogge,
zirka 27 Meter lang, 6 Meter breit und 3 Meter tief. Sie war mit Segeln
und Rudern ausgestattet und hatte ein Fassungsvermögen von 30
Tonnen. Dem Kapitän – nur verheiratete Männer mit Kindern zu

------------------------------------------------------
* D. h. genossenschaftlich organisierte, privilegierte Handelsniederlassungen von Kaufleuten der Deutschen Hanse im Ausland. (A. d. Ü.)


122   Die Hanse

 
Hause wurden als Kapitäne zugelassen – gehörte in der Regel zwischen
einem Achtel und einem Viertel des Schiffes. Fahnenflüchtige
Matrosen wurden mit dem Tod bestraft. Ab etwa 1400 waren alle
Schiffe verpflichtet, Logbuch zu führen. Gegenüber ihren Handelspartnern
brachte die Hanse folgende Methoden zum Einsatz: Verhandlung,
Unterdrückung des Handels, Wirtschaftsblockaden und
Krieg. ...


Die Hanse hatte keine monetären Befugnisse

Die Hanse hatte keinen formalrechtlichen Status, abgesehen von
ihrer Hauptversammlung, dem erstmals 1356 einberufenen Hansetag.
...
Währungsvielfalt den hanseatischen Handel ernsthaft behinderte. 27
...

    6 DIE MONETÄRE VORHERRSCHAFT IN DER RENAISSANCE   123

 
Ihre Blütezeit erlebte die Hanse um 1450, als die dänische Schifffahrt
schneller und billiger wurde.
...
 Die Hanseaten
wurden als »die Kaufleute des Heiligen Römischen Reiches«
bezeichnet, und die Deutschritter waren die Hauptwerkzeuge des
Papstes bei der Christianisierung oder Vernichtung der heidnischen
Goten. Die Hanseaten hatten große Vorbehalte gegen die Verwendung
von Kredit im Handel und ließen auch keine Warentermingeschäfte
zu. So verboten sie den Verkauf von Hering, bevor er gefangen
wurde, von Getreide, bevor es gewachsen war, und von Stoff, bevor
er gewoben war.

Der große 150-jährige Krieg gegen Kredit

Seit Ende des 14. Jahrhunderts wütete eine schwere Auseinandersetzung
zwischen der Hanse, die zusammen mit dem Haus Burgund ein
Handelssystem auf der Grundlage von Bargeld favorisierte, und den


124   Die Hanse

 
Italienern, Süddeutschen, Engländern und anderen, die für die Kreditverwendung
im Handel eintraten. Diese Kampagne gegen den
Kredit wurde damit begründet, daß Kredite Preisinstabilität schaffen
und die Geschäfte stören würden. ... Kredit, so ein weiterer Vorwurf der Hanse, erhöhe
auch die Risikobereitschaft und, schlimmer noch, begünstige
die unlauteren Geschäftspraktiken skrupelloser Kaufleute, was dem
guten Ruf der Hanse schade. 29 

Deflation in Brügge

Der 150 Jahre dauernde Krieg gegen die Kredite auf dem Schlachtfeld
Brügge war im Jahre 1389 vom Hause Burgund ausgelöst worden: Als
Reaktion auf eine durch Kreditausweitung verursachte inflationäre
Periode schlug Burgund eine harte Geldpolitik ein, ... 30

Nutznießer der Deflation waren der Landadel, der Klerus und die
Verpächter. ...

        6 DIE MONETÄRE VORHERRSCHAFT IN DER RENAISSANCE  125

 
1433 unterdrückte die Stadt Brügge alle in- und ausländischen
Bankiers. Ihnen wurden alle möglichen Verstöße gegen das Allgemeinwohl
vorgeworfen. Sie wurden beschuldigt, die Währung durch
Auslese zu verknappen, Barren an ausländische Münzstätten zu versenden
und die unterwertigen Währungen aus diesen Stätten in
Brügge in Umlauf zu bringen. ...


Der Niedergang Brügges

So hatten die Herzöge von Burgund und die Hanse die Schlacht gegen
die Kredite gewonnen – aber sie verloren den Krieg. Größere
Banken operierten weltweit und waren flexibel. Als sich im Jahre 1503
mit der Öffnung der Seeroute um das Kap der Guten Hoffnung eine
günstige Gelegenheit bot, gingen sie von Brügge weg und verlegten
ihre Aktivitäten nach Antwerpen. ...

7 SCHOLASTIKER UND REFORMATOREN 127


 
7. Kapitel Scholastiker und Reformatoren


Würden die Menschen den Wucherern gegenüber verstummen, so
würden die Steine weinen, wenn sie könnten.

                                                Wilhelm von Auxerre (gestorben 1231)



Seit dem Fall Konstantinopels im Jahre 1204 verlor der
byzantinische Kaiser (Basileus) und institutionelle Nachfolger des
Pontifex maximus endgültig die Kontrolle über die Geldmacht. ...

Als Papst Bonifatius VIII.... schrieb, ... erwiderte Philipp, »Ihrer
Torheit zur Kenntnis, sind wir in weltlichen Belangen niemandem
untertan«. ...1

Die scholastische Sicht von Geld und Preis


128   Die scholastische Sicht von Geld und Preis


Der gerechte Preis

Dem Preis kam beim Streben nach Gerechtigkeit im Handelsverkehr
eine zentrale Bedeutung zu. Die Scholastiker beabsichtigten nicht
etwa, Preise festzulegen, sondern sie stellten Faustregeln zur Behebung
von Streitigkeiten auf. ... Der Handel sollte sich innerhalb
eines Spielraums von 50 bis 150% des gerechten Preises bewegen. 2


Grenzen des freien Handels

Ein besonderer Dorn im Auge waren den Scholastikern alle Fälle von
Betrug und Zwang, denn durch diese wurden die Bedingungen des
freien Handels untergraben. Nach dem italienischen Juristen Bartolus
de Sassoferrato (1314-1357) lag Betrug in folgenden Fällen vor:
– Ausnutzung unreifer oder geistig behinderter Menschen;
– unzulängliche Information;
– Erpressung oder moralische Nötigung;
– Machtausübung einer Partei über eine andere. 3

In seinem Hauptwerk Summa theologica schreibt Thomas von Aquin
(1225-1274), moralisch gesehen, dürfe der Verkäufer den Preis nicht in
die Höhe treiben, wenn der Käufer die Ware unbedingt nötig habe, da
er in diesem Falle etwas an jemanden verkaufe, was ihm nicht
gehöre, beispielsweise Leben an die Hungernden. Obwohl die Scholastiker
Privateigentum anerkannten, betrachteten sie im äußersten
Bedarfsfall alle Güter als Gemeinschaftseigentum und gestanden sogar
in einer äußersten Notlage jedem das Recht zu, sich die Güter, die
er für sein Überleben brauchte, bei jenen zu holen, die davon reichlich
hatten.

                    7 SCHOLASTIKER UND REFORMATOREN   129


Die scholastische Sichtweise von Geld

... zwei grundlegende monetäre
Sichtweisen wurden von den meisten Scholastikern geteilt:

Zum einen behaupteten sie zu Recht, daß es einen Unterschied
zwischen Geld und Kapitalgütern gebe. ...

Zum anderen glaubten die Scholastiker, daß der Geldwert von den
Gesetzen über Angebot und Nachfrage nicht abhängig sei; das war jedoch
ein Trugschluß, der eine gründlichere Lektüre der im 1. Kapitel
erwähnten Ausführungen Aristoteles' über Angebot, Nachfrage und
Geldwert erfordert hätte.

Vom Spätscholastiker Johann de Lugo SJ (1583-1660) stammt
diese klare Definition von Geld: ...

130   Die scholastische Sicht von Geld und Preis

 
Das größte Versagen der Scholastik besteht darin, daß sie die monetäre
Bedeutung der von den Banken geschöpften Depositen völlig
unberücksichtigt ließ. ... 5

Das Wucherverbot

Das ökonomische Hauptinteresse der Scholastiker galt der Praxis des
Zinswuchers ds*). ... Sie hatten die negativen Auswirkungen
des Wuchers beobachtet und gewannen einen intuitiven Einblick
in die erst langsam zutage tretenden Probleme. 6 ...

Zinsnahme setzt ein gewisses Risiko voraus

Das Zinswucherverbot gilt heute oft als merkwürdige Lehre rückwärts
gerichteter Geistlicher....

Die Zinsnahme zu anständigen Bedingungen war zu keiner Zeit
verboten. ... Venedig hatte jahrhundertelang fortschrittliche
finanzielle Strukturen genutzt, durch die es zur Handelsvormacht
in Europa aufgestiegen war, ohne dabei gegen die Wucherverbote
zu verstoßen. ...

--------------------------------------------------------------------------
ds*) Zinswucher ist doppelt gemoppelt. Zarlenga fällt auf den Trick der Wucherer der letzten Jahrhunderten, die als Wucher ausschliesslich "ungerechte" Zins bezeichnen liessen, er übersieht dabei, dass der Begriff Zins den Begriff Wucher in der ökonomischen Literatur der Wucherer ersetzte, um den anrüchigen Wucher los zu werden: Zins = Wucher , den man mit den Kreditgebühren nicht vermengen soll, die den reellen Leistungen des Kreditgebers entsprechen, sie sind kein Wucher .


                            7 SCHOLASTIKER UND REFORMATOREN   131

 
Göttliches und menschliches Recht

In der Mehrzahl aller bekannten Sitten- oder Gesetzeskodizes werden
die unsozialen Auswirkungen des Wuchers erkannt und verurteilt ...

Juden war es streng verboten, mit ihren »Brüdern« (anderen Juden)
Wucher zu treiben. ... im Alten Testament zum
Thema Wucher sind folgende: 5. Mose 15,7-10; Psalm 15,5; 2. Mose
22,24; 3. Mose 25,35-37; Amos 8,4-6 und Hesekiel 18,8. Das Neue Testament
hingegen schweigt sich über Wucher fast gänzlich aus.

Weitere Kodizes, die Wucherzinsen begrenzten:
Senchas Mär, das alte keltische Gesetzbuch;
– der Kodex Hammurabi (2130-2088 v. Chr.) begrenzte Wucher auf
33%;
Lykurgs Verfassung von 900 v. Chr. und Solons Reformen zur Vermeidung
der Schuldknechtschaft um 600 v. Chr.;
das hinduistische Recht verbot jede weitere Zinsberechnung, wenn
der Zins die volle Höhe des Darlehens erreicht hatte;
– römisches Recht begrenzte den Zinssatz auf 4 bis 12%.
– In seinem Werk über den Landbau De agricultura (auch: De Re
Rustica) legt Cato die römische Haltung gegenüber Wucher dar:
»... unsere Vorfahren verfügten, daß ein Dieb für den gestohlenen


132   Das Wucherverbot


Betrag doppelt bezahlen und ein Wucherer für das, was er genommen
hat, vierfach bezahlen soll ...«

In seiner römischen Gesetzessammlung aus dem 6. Jahrhundert,
dem Corpus Iuris Civilis, senkte Kaiser Justinian die von Konstantin
dem Großen verfügte Zinsbeschränkung von 12,5 auf 4-8%
herab und schloß die Möglichkeit aus, daß die kumulierten Zinsen
die Kreditsumme überstiegen. ... 8

Der Koran enthält ein absolutes Wucherverbot.

Karolingisches Recht: Karl der Große erließ in seinen Gesetzen von
806 ein kategorisches Wucherverbot. Er definierte Wucher folgendermaßen:
»Wenn mehr gefordert wird als gegeben.«
Die Magna Charta beschränkte den Wucher.
Die meisten Bundesstaaten der Vereinigten Staaten von Amerika erließen
bis 1981 Wucherbeschränkungen.


Gesetzgebung der Kirche

Das Neue Testament enthält kein ausdrückliches Verbot des Zinsnehmens,
doch empfiehlt es, als Zeichen der Nächstenliebe zu borgen,
ohne Zins zu verlangen (z. B. Lukas 6,34). Die Kirchenväter verbieten
das Zinsnehmen; einige (z. B. Ambrosius von Mailand, 340-
397) erlauben es allerdings den Feinden gegenüber, die auch im Krieg
getötet werden dürfen. ...

Im Hochmittelalter gelangte diese Entwicklung zu ihrem Abschluß:
Das Konzil von Tours (1163) drohte den Übertretern Exkommunikation
an, was bedeutete, daß diese nicht kirchlich beerdigt
werden konnten. Das Konzil von Vienne (1311) erklärte sogar die


                            7 SCHOLASTIKER UND REFORMATOREN   133

 
Statuten jener Städte für ungültig, die irgendwelche Bestimmungen
enthielten, die die Zulässigkeit des Zinsnehmens betrafen. 9


Die Konzentration von Reichtum

Durch Wucher konzentriert sich das Geld der Gemeinschaft in den
Händen weniger einzelner. »Es ist eine ansteckende Krankheit, denn
nun treiben alle Männer Wucher« (Bernhardin von Siena, 1380–
1444). 10 Papst Innozenz IV. (1250-1261) verbot Wucher aufgrund seiner
bösen Folgen. Er befürchtete nämlich, daß die Reichen ihr Geld
lieber in sichere Wucherdarlehen anlegen würden, anstatt in die
Landwirtschaft zu investieren. So würden schließlich nur noch die
Armen Landwirtschaft betreiben, aber ihnen würden die dafür nötigen
Tiere und Geräte nicht gehören. Die Folge wäre eine Hungersnot. ...11

In Medieval Cities konstatiert Henri Pirenne, die Geißel der Schulden,
die in der griechischen und römischen Antike so schwer auf dem
Volk lastete, sei den mittelalterlichen Gesellschaftsordnungen erspart
geblieben. Zu diesem erfreulichen Ergebnis habe vermutlich die Kirche
beigetragen 12

Die Unersättlichkeit

...
Johannes Buridan, ein Pariser Universitätsprofessor des 14. Jahrhunderts,
hielt den Wucher für böse, weil er unsozial und engherzig
sei und weil der Wucherer habgierig nach etwas Grenzenlosem
trachte. 13

Dante läßt in der Göttlichen Komödie die Wucherer zur Hölle fahren:


134   Das Wucherverbot


Aristoteles verurteilt den Wucher

Aristoteles, auf den sich später die Scholastiker beriefen, verurteilte
die Praxis des Wuchers: »..., so trifft der allgemeine Haß mit der
größten Berechtigung die Kunst des Geldausleihers, weil hier der
Gewinn vom Geld selbst herkommt und nicht von dem, wofür das
Geld erfunden wurde. Denn es wurde um des Warenaustausches
willen geschaffen; der Darlehenszins aber vermehrt nur gerade das
Geld. Von daher hat er auch seinen Namen bekommen; denn das,
was geboren wird, ist dem Erzeugenden ähnlich, und das Zinsgeschäft
besteht darin, daß Geld aus Geld wird. Infolgedessen ist von
allen geschäftlichen Manipulationen diese am meisten wider die
Natur.« 15

Oder: »... die, die schimpfliche Gewerbe betreiben: Hurenwirte
und dergleichen, und Wucherer, die kleine Summen zu hohen Zinsen
ausleihen. Denn alle diese nehmen, woher sie nicht sollen und
mehr, als sie sollen. Als gemeinsam erscheint bei ihnen schimpfliche
Gewinnsucht, da sie alle eines Gewinnes, und zwar eines kleinen Gewinnes
wegen sich Schimpf und Schande gefallen lassen.« 16

Aristoteles' Kernaussage lautet, daß Geld grundsätzlich unfruchtbar
ist. Geld kann nicht neues Geld erzeugen, so wie eine Kuh neue
Kühe erzeugt oder ein Feld Getreide hervorbringt. Geldwucher steht im
Gegensatz zu dem eigentlichen Zweck des Geldes, das von der Gesellschaft
als Maß und Tauschmedium geschaffen wurde. Wucherds*) ist
ein unnatürlicher Gebrauch von Geld.



                            7 SCHOLASTIKER UND REFORMATOREN   135


Die Scholastiker übernahmen die aristotelische Kritik des Wuchers.
So vertrat Thomas von Aquin die Ansicht, daß Geld ein Maß
sei und daß Wucher dieses Maß verändere. Damit meinte er, daß weitere
Anforderungen an den Geldmechanismus, wie eben zum Beispiel
Wucher, seiner Funktion als Maß schaden.

... Die Aristotelischen
Lehren wurden für die Befürworter des Wuchers zu einem
Haupthindernis.

Wucher: der Mißbrauch des Geldmechanismus

Um die antisoziale Manipulation der Geld-, Banken- und Kreditsysteme
zu beschreiben, bedarf es einer deutlichen Sprache: Die
Geldmanipulation ist in ihrer Wirkung mit dem Genozid ver -
gleichbar. Aristoteles verwendete dafür den Begriff Chrematistik.*
Chrema ist das griechische Wort für Geld. Auf deutsch wird der
strukturelle Mißbrauch des Geldsystems einer Gesellschaft am treffendsten
mit dem Begriff Wucher beschrieben. Die heute häufig anzutreffende
falsche Definition des Wucherbegriffs als übermäßige
Zinsnahme zeigt, wie wenig wir von diesem Gegenstand eigentlich
verstehen.

 
Maßnahmen gegen Wucherer

Im Mittelalter leitete man rechtliche Schritte nur gegen offenkundige
Wucherer ein, also solche, die mehr oder weniger offen Wucher trieben.
Zu ihnen zählten etwa Juden und Lombarden. Entgegen der
landläufigen Meinung galt der von Juden praktizierte Wucher zu keiner
Zeit als offiziell erlaubt; 17 er wurde aber während längerer Zeiträume
geduldet.
...

------------------------------------------------
* Gewerbsmäßiges Betreiben einer Erwerbswirtschaft mit dem Ziel, sich durch Tauschen
und Feilschen zu bereichern. (A. d. 0.)


136   Das Wucherverbot


Die sprachliche Umgehung des Wuchers

Jeder erdenkliche sprachliche Kniff kam zum Einsatz, um das Wucherverbot
zu umgehen.ds*) So wurden beispielsweise Waren auf Kredit zu
einem höheren Preis verkauft, in den der Zins bereits eingerechnet
war. Oder man stellte »trockene« Wechsel in ausländischer Währung
aus, ...

Ein Großteil der scholastischen Schriften bezieht sich nicht auf unproduktive
Verbrauchsdarlehen, sondern auf Geschäftsdarlehen. ...

Im ausgehenden Mittelalter konnten sich daher nur noch zwei
wichtige Argumente gegen den Wucher halten: zum einen Aristoteles'
Argument, daß Geld an sich unfruchtbar sei und daß Zinsnahme
dem eigentlichen Zweck von Geld entgegenstehe; zum anderen Thomas
von Aquins Argument, daß ein Wucherer nicht sowohl das Geld
als auch seinen Gebrauch verkaufen könne... 18

Einen höheren Wert zu verlangen bedeutete, den Geldwert zu verändern.
Forderte der Verleiher mehr, weil der Entleiher von der Verwendung
des Geldes profitierte, bedeutete dies, daß der Verleiher das
Eigentum an dem Geld nicht wirklich, in vollem Umfang, an den Ent-


7 SCHOLASTIKER UND REFORMATOREN 137


leiher abtrat. ...ds*) vgl. Disagio

Das Wucherverbot wird in Frage gestellt

Da der Stand der Geldverleiher immer einflußreicher und die moralische
Macht der Kirche immer schwächer wurde, war es nur eine
Frage der Zeit – und des Geldes –, wann die Schranken des Wucherverbots
fallen würden. Um 1516 hatte sich die Vorstellung von einer
Geldverleihanstalt, die für ihre Dienste Zinsen verlangte, bei einer
breiten Bevölkerungsmehrheit durchgesetzt.

Konrad Summenhart (gest. 1502), ein gelehrter Theologe an der
Universität Tübingen, brach mit der aristotelischen Sichtweise und
erklärte, daß es völlig legitim sei, etwas in einer anderen Weise zu verwenden
als ursprünglich vorgesehen.

Seit dem Beginn des 16. Jahrhunderts forderte die Stadt Augsburg,
die Heimat der Fugger, Florenz im Kampf um die finanzielle
Vormacht in Europa heraus. Die Fugger finanzierten Johannes Eck
(1486-1543), einen Schüler Summenharts, bei seinem Eintreten für
die Zulassung einer bestimmten Vertragsform des Wuchers. Dabei
handelte es sich um den sogenannten Dreifachvertrag (auch Deutscher
Vertrag und Fünf-Prozent-Vertrag genannt). Vor einer Vollversammlung
der Universität von Bologna hielt Johannes Eck ein
fünfstündiges Plädoyer für die Einführung dieses Vertrages. Der sogenannte
Fünf-Prozent -Vertrag berief sich auf ein Versicherungsprinzip,
wonach ein »Investor« im Gegenzug für eine versicherte und
garantierte Rendite von 5% auf alle weiteren Gewinnansprüche verzichtete.
...

Keine Vergebung für Wucherer

Wegen des zunehmenden Geldbedarfs im Handel ließ auch die katholische
Kirche neue Formen der Darlehensvergabe zu, widerrief jedoch
nie die Sündhaftigkeit aller bisherigen Formen des Wuchers.

-----------------------------------------------------------------------
ds*) Die Tradition wird bis heute fortgeführt, vgl. Disagio, nur ein Teil der Kreditsumme wird dem Kreditnehmer ausbezahlt.


138   Keine Vergebung für Wucherer

 
...
Die katholische Kirche bewegte sich in bezug auf Wucher nur sehr
langsam vorwärts. Erst 1822-1836 erklärte der Apostolische Stuhl,
daß jeder die gesetzlich erlaubten Zinsen nehmen dürfe. Diese Erklärung
war jedoch mehrdeutig ...

Selbst im Codex Iuris Canonici von 1917 blieb dieser Punkt noch
etwas vage...

Die Scholastiker hielten die Flut des Wuchers jahrhundertelang
zurück. Eines ihrer dauerhaften Verdienste ist es, daß sie den zutiefst
moralischen Charakter monetärer und ökonomischer Fragen erkannten.
...

Martin Luther

Das große Interesse der Scholastiker an Fragen der Wirtschaftethik
stand in scharfem Gegensatz zum Verhalten der Kirche. ...


                            7 SCHOLASTIKER UND REFORMATOREN   139


... Ohne Kenntnis dieses Hintergrundes formulierte
Luther 1517 seine Ablaßthesen. Die Debatte über diese Thesen
»hat Risse offengelegt, die später zur Trennung [Luthers von der katholischen
Kirche] führten«. 19

Luthers Haltung gegenüber dem Wucher deckte sich weitgehend
mit der der katholischen Kirche; wie diese verwarf auch er ... das Nehmen von Zinsen.
... Sie erklärten, daß einmal festgesetzte
Zinsen bezahlt werden müßten, auch wenn man grundsätzlich
die Tyrannei des Zinsnehmens mißbillige....

»Wer etwas
leihet und darüber oder besser nimmt, der ist ein Wucherer und
verdammt als ein Dieb, Räuber und Mörder.« 20 ...

140   Martin Luther


Johannes Calvin
...
Im Jahre 1536, als er unter dem Namen Martianus Lucanius in der
Schweiz lebte, veröffentlichte Calvin im Alter von nur 27 Jahren die
Institutio Christianae Religionis, mit der er zum offenen Verfechter
der Reformation wurde.

Calvins Lehren

Calvins Lehren richteten sich vor allem an die Gesellschaftsschichten,
die in Handel und Industrie tätig waren. ... Calvin lehnte dies ab und predigte statt dessen seine
Doktrin der »Auserwählten«. ds*) Gott erwählt die einen Menschen zum
ewigen Heil völlig ungeachtet ihres Verdienstes. Alle übrigen sind
durch ein gerechtes, aber unverständliches Urteil zu ewiger Verdammnis
bestimmt.
...
Nach Belloc schuf Calvin, indem er den freien Willen und die Wirksamkeit
guter Taten leugnete und sämtliche Lehren und Traditionen
der monastischen Armut als nutzlos abtat, die Voraussetzung dafür,
daß das Denken immer mehr vom Geld beherrscht werden konnte.
Diese Gefahr hatte schon Thomas von Aquin erkannt, der sagte, wenn
der Mensch die Vorstellung von Gott als dem höchsten Gut aufgebe,
neige er dazu, den Wohlstand zum höchsten Gut zu erklären 23

---------------------------------------------------------------------------
ds*) Die Gedanke hat Calvin vom Mosaismus abgekupfert, vgl. das "auserwählte Volk".


                                7 SCHOLASTIKER UND REFORMATOREN   141


Weiter charakterisierte Belloc die Reformation als »eine Erhebung
der Reichen gegen die Armen«, was Calvin in der Tat durch die folgende
unglückliche Äußerung bestätigte: »Die Menschen müssen
stets in Armut gehalten werden, damit sie gehorsam bleiben.« 24

Die Verneinung einer Verbindungen zu Gott über die Kirche führte
zur Vergötterung der Bibel....

Calvins Auseinandersetzung mit dem Wucher

Calvin ...: Mäßiger Gewinn auf einem
Darlehen ist unter diesen Bedingungen nicht verboten. Für Aristoteles'
Argument, Geld sei unfruchtbar, hatte Calvin nur Verachtung
übrig ... 26


Wirtschaftliche und geistige Auswirkungen des Calvinismus

...
Ernst Troeltsch (1865-1923), Richard Henry Tawney,


142   Wirtschaftliche und geistige Auswirkungen des Calvinismus

 
(1880-1961), Werner Sombart (1863-1941) und Max Weber
(1864-1920). Troeltsch definiert das »Problem des Wesens und der
Entstehung des Kapitalismus« als das »große Hauptproblem der heutigen
Wirtschaftsgeschichte«. 27


Loslösung des wirtschaftlichen Handelns von der Ethik

Ernst Troeltsch faßte die ökonomischen und moralischen Auswir -
kungen des Calvinismus wie folgt zusammen: »...
Freude an des Kaufmanns Herrschergewalt hat sich von dem alten
ethischen Boden völlig gelöst und ist zu einer dem echten Calvinismus
und Protestantismus geradezu entgegengesetzten Macht geworden.« 28
...

Die Beschlagnahme des kirchlichen Grundbesitzes

In Frankreich forderte Calvin den Adel zur Übernahme der Klöster
auf. ... 29 In England begannen ... Thomas Cromwell und Teile des englischen Establishments mit
der Beschlagnahme des kirchlichen Grundbesitzes...

                            7 SCHOLASTIKER UND REFORMATOREN   143

 
... sie bewirkte auch, daß vor allem
in England immer mehr Leibeigene,..., von den neuen Besitzern aus
den nun abgetrennten Ländereien vertrieben wurden und damit ihre
Existenzgrundlage verloren. Tawney beschreibt dies als den Versuch,
die gesetzlichen Eigentumsrechte unter gleichzeitiger Zurückweisung
der gesetzlichen Verpflichtungen auszuweiten. Daraus leitete
sich eine Theorie des Landeigentums ab, die den Eigentümer nicht
mehr zwingend als Verwalter oder Treuhänder vorsah.

Dieses gierige Ergreifen von Privilegien ohne gleichzeitige Übernahme
von Verantwortungs ist zu einem Wesensmerkmal des modernen
Kapitalismus in Amerika geworden.


Der Puritanismus

...Doch der Calvinismus ... in England ...als Puritanismus bezeichnet. ...
In seinem Werk Die Juden und das Wirtschaftsleben arbeitete der
deutsche Nationalökonom Werner Sombart die Parallelen zwischen
Judentum und Kapitalismus heraus und kam zu folgender Schlußfolgerung:
»Um es gleich herauszusagen: ich finde in der jüdischen
Religion dieselben leitenden Ideen, die den Kapitalismus charakterisieren,
ich sehe sie von demselben Geist erfüllte wie diese.« 30
...
»Rationalismus ist der Grundzug des Judaismus wie des
Kapitalismus.« Dieselbe rationale Grundhaltung hatte Max Weber
(s. u.) einige Jahre zuvor dem Puritanismus zugeschrieben, was Sombart
die Gleichung erlaubt: »Puritanismus ist Judaismus.« 31 Diese
Behauptung begründet er mit einer Beschreibung der politischen
Aktivitäten der Puritaner Mitte des 17. Jahrhunderts: »Das öffentliche


144   Wirtschaftliche und geistige Auswirkungen des Calvinismus

 
Leben und die Kirchenpredigten erhielten geradezu eine israelitische
Färbung. Es fehlte nur noch, daß die Parlamentsredner hebräisch
sprachen, so hätte man sich nach Palästina versetzt glauben können;
die Levellers, die sich selbst >Jews< nannten, verlangen, daß die
Staatsgesetze die Thora schlechthin zur Norm für England erklären
möchten; Cromwells Offiziere schlagen ihm vor, den Staatsrat aus 70
Mitgliedern zu bilden nach der Zahl der jüdischen Synedristen; im
Parlamente von 1653 sitzt der Obergeneral Thomas Harrison, ein
Wiedertäufer, der mit seiner Partei das mosaische Gesetz für England
eingeführt wissen wollte; 1649 wird ein Antrag im Parlamente eingebracht:
den Sonntag auf den Sabbath zu verlegen;...« 32
...
Im 9. Kapitel wird die »Große Bibelflut nach England« erläutert.

Webers »Rationalität« des Kapitalismus

...

8 DAS JAHR 1500 - DREH- UND ANGELPUNKT DER GESCHICHTE 147



8. Kapitel  Das Jahr 15oo Dreh- und Angelpunkt der Geschichte



Machtverschiebungen vom Mittelmeer zur Nordsee

... Die Saat der Calvinisten ging
vor allem in Nordwesteuropa auf,...

...das 16., 17. und 18. Jahrhundert sollte unter dem Einfluß zweier navigatorischer
Bravourstücke des portugiesischen Christusordens stehen –  ...

Sowohl Portugals Herrscher Prinz Heinrich der Seefahrer (1393-
1460) als auch Kolumbus gehörten zu diesem Orden, der die Kunst
der Navigation und der Kartographie weiterentwickelte. Kolumbus'
Entdeckung Amerikas im Jahr 1492 und Vasco da Gamas Entdeckung
des Seeweges nach Indien um das Kap der Guten Hoffnung herum
im Jahr 1498 waren von gar nicht hoch genug einzuschätzender geopolitischer
Bedeutung.  ...

148   Machtverschiebungen vom Mittelmeer zur Nordsee


Die Öffnung der Kaproute gab Portugal die Kontrolle sowohl über
den Gold-Silber-Handel als auch über den Gewürzhandel und
machte das Land über mehrere Jahrzehnte zu einer europäischen
Großmacht.
...

Die Plünderung Amerikas

Wie kann Blut mit Geld bemessen werden? ... Wie können
Verzweiflung, das Leben, der Tod, die Ausrottung von Völkern
und ihr Erbe an Erfahrungen, Errungenschaften, Gesetzen, religiösen
Vorstellungen und moralischen Werten mit Geld bemessen werden?
                                                                Alexander Del Mar

Obwohl die katholische Kirche vorgab, die Menschheit als eine
Bruderschaft in Christo zu sehen, wurden in ihrem Namen mit der
Abschlachtung von Millionen südamerikanischer Indios furchtbare
Verbrechen an der Menschheit verübt. Instrumente des Genozids
waren die Konquistadoren, die von der spanischen Krone ausgesandt
wurden, um die Ureinwohner ihres Goldes zu berauben.


    8 DAS JAHR 1500 -DREH- UND ANGELPUNKT DER GESCHICHTE   149

 
In päpstlichen Bullen wird dem Genozid zugestimmt

Papst Nikolaus V. drückte es 1450 deutlich genug aus: »Nach reiflicher
Überlegung gewähren wir König Alfons mit unserer Bulle völlige
und uneingeschränkte Freiheit, all die Sarazenen, Heiden und
andere Feinde Christi – wo immer sie auch seien – zu besiegen, zu belagern
und zu unterwerfen; ihre Königreiche, Herzogtümer, Fürstentümer,
ihr Privateigentum, ihren Landbesitz und all die Güter, die
sie zurückhalten und besitzen, zu beschlagnahmen und diese Personen
auf ewig zu versklaven; diese Königreiche, Herzogtümer, Fürstentümer,
Grafschaften, all das Eigentum und all den Reichtum zu
verteilen, ...

1493 teilte Papst Alexander VI. die Welt 100 Leguas (etwa 560 km)
westlich der Azoren in zwei Einflußbereiche auf, von denen der östliche
Portugal, der westliche Spanien zufallen sollte: ... 1


Kolumbus' Goldfieber

...Kolumbus' Vertrag mit


150   Die Plünderung Amerikas

 
der spanischen Krone sicherte ihm ein Achtel des Gewinns der Reise
zu, und daher war einer seiner ersten Vorschläge an Spanien, die Indianer
zu versklaven. Die Monarchie, die den Wünschen der Konquistadoren
meistens entgegenkam, gewährte Kolumbus schließlich
auch diese Bitte.

Die an den Indianern begangenen Greueltaten wurden zur Routine.
Die Konquistadoren schlachteten sie ab, vergewaltigten sie, erhängten
und verbrannten sie ...

... Als Kolumbus' Forderungen
auf Hispaniola (Haiti) unerträglich wurden, kultivierten sie das Land
nicht mehr – auch nicht für sich selbst – und versuchten so, die Spanier
auszuhungern. Die Greueltaten dauerten jedoch noch ein weiteres
Jahrhundert an, wie etwa an folgendem Beispiel deutlich wird: Als der
englische Pirat Sir Francis Drake 1586 San Domingo einnahm, erfuhr
Abbe Reynal von den wenigen Überlebenden dieses einst dicht
bevölkerten Landes, daß die Bewohner lieber auf Geschlechtsverkehr
verzichteten, als Eltern von Kindern zu werden, die derselben Behandlung
ausgesetzt würden wie sie selbst. 2 In The Spanish Conquest
of America schätzt Arthur Helps die indianische Bevölkerung zu Beginn
der spanischen Herrschaft auf 32 Millionen, und er geht davon aus,
daß die Spanier in weniger als 40 Jahren 15 Millionen Indianer ums
Leben brachten – die meisten wurden in den Gold- und Silberminen zu
Tode geschunden. Zum Beispiel in einer Mine nahe der Stadt
Mexiko. In einem Brief aus dem Jahre 1541 beschreibt der
Mönch Toribio Motolina de Paredes die Situation so: Man konnte
eine halbe Wegstunde um die Mine herum und auf einem größten
Teil der Straße, die dorthin führt, kaum einen Schritt tun, ohne auf
Leichen oder die Knochen von Toten zu treten. ...3

Eines der großen Leichenfelder Perus war die große Silbermine in
Potosi, wo 1535 mit dem Abbau begonnen wurde.


    8 DAS JAHR 1500 -DREH- UND ANGELPUNKT DER GESCHICHTE   151


Das Requerimiento*

Die Eroberer waren per Gesetz verpflichtet, jedem Indio vor dessen
,Ermordung das »Requerimiento« zu verlesen:

Im Namen des sehr hohen und sehr mächtigen und sehr katholischen
Verteidigers der Kirche, des immer siegreichen und nie besiegten,
des großen Königs Ferdinand V. von Spanien, von beiden
Sizilien, ...

---------------------------------------------------
* El requerimiento (span. Aufforderung, Mahnung, Ersuchen).


152   Die Plünderung Amerikas


... und ich erkläre, daß die Tötungen und Schäden, die sich
daraus ergeben werden, zu euren Schulden gehen und nicht zu
denen seiner Hoheit noch der Herren, die mit mir gekommen
sind. ... 4

Das requerimiento wurde gewöhnlich auf spanisch Bäumen vorgelesen
oder von angreifenden Heeren gemurmelt. 1532 wurde er für den
indianischen Herrscher Perus, Atahualpa, übersetzt. ... sagte er: »Euer Papst muß gewiß
ein höchst außergewöhnlicher Mann sein, daß er so großzügig
verschenkt, was ihm nicht gehört.« Er fragte den vorlesenden Priester,
woher der Papst seinen Anspruch nehme, über die Erde zu herrschen.
»Hieraus«, antwortete der Mönch und zeigte dem Herrscher
sein Brevier. Atahualpa nahm es, besah es sich von allen Seiten, brach


    8 DAS JAHR 15 00 - DREH- UND ANGELPUNKT DER GESCHICHTE   153

 
in Gelächter aus, warf es davon und sagte: »Weder dies noch irgendein
anderes Schriftstück kann den Anspruch verleihen, über die Erde
zu herrschen.« 5

Pizarro ermordete Atahualpa, nachdem der Herrscher der Inka
ihm als vereinbartes Lösegeld einen Raum mit Gold gefüllt hatte –
alles in allem 185 000 Unzen.*

Nur in Chile trafen die Spanier auf einen Stamm, der ihnen Widerstand
leisten konnte, die Araucaner. Es kostete die Spanier fast 20
Jahre, sie zu unterwerfen, und schon 1553, nur wenige Jahre später,
gewannen die Araucaner ihre Unabhängigkeit zurück, setzten den
spanischen Anführer gefangen und beförderten ihn mit feiner Ironie
vom Leben zum Tode, indem sie ihm geschmolzenes Gold in den
Hals gossen.


Das Geld der amerikanischen Ureinwohner

Laut Del Mar war die Verwendung von Geld zur Zeit der Entdeckung
durch die Europäer nur in vier indianischen Nationen – alle in Südund
Mittelamerika – üblich. Obwohl sie alle über Gold und Silber verfügten,
brauchten sie es nicht als Geld. In Peru herrschte ein solcher
Überfluß an Gold, daß daraus manchmal Speicherbehälter, Wasserrohre
und sogar Planken gemacht wurden. Die Mexikaner verwendeten
getriebenes Kupfer und Kakaobohnen als Geld; letzteres wurde
durch das königliche Monopol auf die Kakaoproduktion ermöglicht. 6


Konquistadoren in Nordamerika

--------------------------------------------------------------------------
* Während der Arbeit an diesem Kapitel (23. Dez. 1997) vernehme ich die Nachricht,
daß in der mexikanischen Provinz Chiapas 45 Indianer von paramilitärischen Truppen
erschossen wurden. Die Ermordung der indianischen Urbevölkerung dauert an ...



154  Die Plünderung Amerikas

 
... Die gesamte Beute der Spanier zwischen 1493 und
1690 wird auf 1230 Tonnen Gold und 60440 Tonnen Silber geschätzt,
jedoch hat nur ein Teil davon Spanien jemals erreicht. 8

Piraten entern spanische Schiffe

Während die Spanier an Land die »Dreckarbeit« verrichteten, verfolgten
die Engländer und Holländer eine einfachere Strategie, indem
sie die mit Gold und Silber beladenen spanischen Schiffe auf dem
Heimweg nach Europa kaperten. ... Die britische
Krone vergab zu diesem Zweck sogar Kaperbriefe an Piraten, die
sie dann »privateers« nannten.*

Die holländische Westindische Kompanie wurde 1623 gegründet,
um die Spanier auszurauben. ...

--------------------------------------------------------------
* »Freibeuter« sind laut Brockhaus Piraten, die ohne Kaperbrief Schiffe kaperten. (A. d. 0.)


    8 DAS JAHR 1500 - DREH-UND ANGELPUNKT DER GESCHICHTE   155


Die Westindische Kompanie wurde auch im Sklavenhandel zu
einem wichtigen Faktor. ...Von 1650 bis 1700 scheint Amsterdam das Hauptquartier
des Sklavenhandels gewesen zu sein; auch die Verträge für die
Lieferung von Sklaven wurden dort aufgesetzt.10 Und Herbert Bloom
bemerkt, der Sklavenhandel sei in Surinam — wie auch in den anderen
Kolonien— eine der wichtigsten Aktivitäten der Juden gewesen. 11


Die Renaissance des Nordens

Der Zufluß von Gold und Silber, der vor allem im nördlichen Europa
zu verzeichnen war, trug dazu bei, das Machtzentrum von den italienischen
Stadtstaaten am Mittelmeer zu den Städten an der Nordsee
zu verschieben. Jacob schätzt, daß sich der Bestand an Edelmetallen
1492 in Europa auf 35 Millionen englische Pfund belief, d. h. zirka 1
Pfund bzw. zirka 5 Dollar pro Person, ausgehend vom Dollarkurs im
Jahr 1900. Für Ende 1599 schätzt er die Geldmenge in Europa auf insgesamt
87 Millionen Pfund und berücksichtigt dabei auch den Verschleiß
beim Münzgeld und die riesigen Summen, die nach Indien
und in Gegenden östlich davon flossen. Für Ende 1699 schätzt er den
verfügbaren Bestand an Edelmetallen in Europa auf 287 Millionen
Pfund. Obwohl die Wachstumsrate der Geldmenge im 17. Jahrhundert
wesentlich höher war als im Jahrhundert davor, war die Inflation
weniger hoch als im 16. Jahrhundert, da der Handel rapide wuchs,
neue Waren und Dienstleistungen leichter angeboten werden konnten
und die Bevölkerung um 50% zugenommen hatte, so daß die
größere Geldmenge auch benötigt wurde.

... die Industrie begann
sich zu entwickeln und gedieh, die Bevölkerungszahlen stiegen dramatisch
an, ....


156   Die Renaissance des Nordens

 
... Jacob
schätzte, daß die Preise in Frankreich zwischen 1492 und 1589 um
470% stiegen. Er stützte seine Kalkulation auf eine Liste von 18 Gütern
wie z. B. Hase, Hering, Kerzen, Wein, Weizen und Öl.
In bezug auf England orientierte sich Jacob an den Oxford Tables
und stieß auf einen Anstieg von 400% bei Mais bei einem generellen
Preisanstieg von 500%. Er betont, daß dieser Preisanstieg niemals als
Schock empfunden wurde, da keine großen Preissprünge zu verzeichnen
waren und der Anstieg gleichmäßig über die gesamte Periode
verteilt war. Dieser Preisanstieg ist tatsächlich mit der Inflationsrate
zu vergleichen, die das US-Zentralbankensystem während der
vergangenen 80 Jahre in Amerika verursacht hat. So verloren Gold
und Silber zwischen 1500 und 1600 über 80% ihres Werts, und sie
sollten ihn niemals wiedererlangen. ...

Merkwürdige Auswirkungen auf Spanien

Während die importierten Edelmetalle eine »Renaissance des Nordens
« zur Folge hatten, kann der Effekt auf Spanien nur als negativ
bezeichnet werden. In zwei Sätzen ausgedrückt: Spanien beraubte die
beiden Amerikas und bereicherte seine »Edelleute«; Europa beraubte
die Spanier und bereicherte vor allem das Volk.
...
Das Beispiel Spaniens untermauert die Ansicht, daß es sich bei Geld
nicht um produktives Kapital handelt. ...


    8 DAS JAHR 1500 -DREH- UND ANGELPUNKT DER GESCHICHTE   157

 
Die Konzentration von Reichtum hat in verschiedenen
Epochen oft unterschiedliche Ursachen; deren negative Effekte ähneln
sich jedoch im allgemeinen sehr. Noch einmal wird folgendes deut -
lich: Nicht nur die Summe der vorhandenen Geldmenge beeinflußt
wirtschaftliche Aktivitäten – der Reichtum muß auch auf viele verteilt
sein, damit gute Resultate erzielt werden können.


Der Überfluß an Edelmetallen verzögert monetäres Denken
...
»Die Eroberung der neuen Welt verhinderte das Wiederaufleben
der klassischen Konzeption von Geld und förderte statt dessen die
Weiterentwicklung der feudalen Konzeption in eine noch monströsere
Form«, schrieb Del Mar.13 (Mit »klassisch« bezog sich Del Mar
natürlich auf Aristoteles, nicht auf Adam Smith' Schule, die ziemlich
unglücklich »klassische Schule« genannt wird.)
...
Der Abfluß von Gold und Silber in den Osten nimmt ab

Die Edelmetalle flossen weiterhin nach Osten. Im 16. Jahrhundert lag
das Wertverhältnis zwischen Silber und Gold in Indien noch immer
zwischen 6 und 8 :1; in Europa schwankte es zwischen 10 und 14 : 1.
Schätzungen von M. Forbonnais zufolge wurde die Hälfte allen Goldes
und Silbers, das zwischen 1492 und 1724 von Amerika nach Europa
gelangte, von der Levante und dem Handel mit Indien und China


158   Die Renaissance des Nordens

 
absorbiert. M. Gerboux schätzte diesen Anteil etwas höher, und von
Humboldt ging sogar von zwei Dritteln aus. Jacobs wiederum vermutete,
daß zirka 40% des Goldes und Silbers in den Osten
flossen14  ... Die
Europäer konnten allmählich mehr Güter europäischen als östlichen
Ursprungs erwerben, so daß der Erwerb von Waren aus dem Osten
einen immer geringeren Abfluß von Geld in Richtung Osten
verursachte. Mit der Herausbildung von »Kapital« im Westen sollte
auch ein wachsender Anteil der über Wucherzinsen erlangten
Gewinne in Europa verbleiben.

Ein blutbeflecktes Geldsystem

...1902 schätzte
Del Mar in The History of Precious Metals: »Etwa die Hälfte der Edelmetallbestände
wurde durch Eroberung und Sklavenarbeit erworben.« ...15
Sklaverei mindert den Wert aller bezahlten Arbeitskräfte,

nicht nur den der Arbeiter in den Goldminen.

... Del Mar kritisierte ... : »Wie kann Blut
mit Geld bemessen werden? Wie können Verzweiflung, das Leben,
der Tod, die Ausrottung von Völkern und deren Erbe an Erfahrun-


    8 DAS JAHR 15 00 - DREH- UND ANGELPUNKT DER GESCHICHTE   159

 
gen, Errungenschaften, Gesetzen, religiösen Vorstellungen und moralischen
Werten mit Geld bemessen werden?«16
...

Die Kaproute verändert die Handelsbeziehungen

Ihr werdet bald große Neuigkeiten erfahren: Jetzt gelangen Gewürze
von Portugal nach Alexandria anstatt wie bisher von Alexandria nach
Portugal.
                                                                                            Amerigo Vespucci


Die Kontrolle über den Ost-West-Handel verleiht große Macht

Spätestens seit der Zeit Alexanders des Großen hatte im Westen das
Sagen, wer den Osthandel und das Wertverhältnis zwischen Gold und
Silber kontrollierte. In den bisherigen Kapiteln wurde gezeigt, wie
nacheinander die Ptolomäer, Rom, Konstantinopel, Venedig, die Juden
und die Tempelherren von diesem Handel profitierten.
...
Zwischen 1565 und 1625 erleichterten die Portugiesen die Japaner
um zwei Drittel ihres Goldes — um zirka 250 Tonnen. Die Japaner, bei
denen das Wertverhältnis zwischen Silber und Gold bei 6 : 1 lag, wußten
nicht, daß das Verhältnis in Europa mit 15 : 1 wesentlich höher
lag.

Die Portugiesen ließen den Pfefferhandel über Antwerpen laufen,
das bald zu Europas größtem Handelshafen wurde. Den Schaden
hatte Venedig. ..., befand sich Amerigo Vespucci, dem
Amerika seinen Namen verdankt, auf den Kapverdischen Inseln, als
die Überbleibsel einer portugiesischen Expedition nach Indien im



160   Die Kaproute verändert die Handelsbeziehungen


Juni 1501 nach Hause zurückkehrten. Er erkannte die Bedeutung des
Geschehenen sofort und schrieb seinem früheren Dienstherrn, dem
florentinischen Bankier Pietro de' Medici: »Ihr werdet bald große
Neuigkeiten erfahren. ... Jetzt gelangen Gewürze von Portugal nach
Alexandria anstatt wie bisher von Alexandria nach Portugal. Das ist
der Lauf der Welt!«


Der Aufstieg Antwerpens zur Handelsvormacht

Mit der Öffnung der Kaproute erschien Antwerpen wie aus dem
Nichts auf der Bildfläche und »entwickelte sich zu einem Handelszentrum,
wie es die Welt noch nie gesehen hatte«... 17

Das Königreich Portugal entstand während der christlichen Rückeroberung
Spaniens (1094 macht sich die Grafschaft um Porto selbständig),
indem sich Portugal von der kastilischen Lehensherrschaft
befreite. ... Sie
benötigten einige befestigte Häfen als Stützpunkte und Warenlager.
Goa wurde 1510 eingenommen, Hormuz 1515, Malakka 1511. ... 18

     8 DAS JAHR 1500 - DREH-UND ANGELPUNKT DER GESCHICHTE   161

 
... Um die Preise hoch zu halten, wurde der Handel auf Antwerpen
beschränkt.19 ...

Der Fall Antwerpens und der Aufstieg Amsterdams

... Steuerpolitik in
den Niederlanden löste 1565 eine Revolution aus. Der Aufstand er -
fuhr Unterstützung durch den Calvinismus, und seine Anhänger
sammelten sich in den nördlichen Niederlanden, die später zu Holland
wurden. Die südwestliche, hauptsächlich von Katholiken besiedelte
Region wurde zu Belgien.

162   Die Kaproute verändert die Handelsbeziehungen

 ...
1595 umsegelten vier niederländische Schiffe unter dem Kommando
von Cornelius Houtman das Kap der Guten Hoffnung. Die
genaue Route hatte Houtman von den Portugiesen erfahren. Um
diese neue Handelsmöglichkeit zu nutzen, wurden in den Niederlanden
in schneller Folge sechs Handelsgesellschaften gegründet, die sich
im Konkurrenzkampf zunächst gegenseitig behinderten. Daher
schlossen sie sich 1602 zur niederländischen Ostindienkompanie zusammen,
die das Monopol für den Handel mit dem Osten erhielt.

... Den Portugiesen mangelte es auch an Seeleuten.
Die meisten Besatzungsmitglieder kamen aus Afrika oder Asien,
manchmal war der Kapitän der einzige Portugiese an Bord. 20

Die Holländer kämpften mit den Portugiesen von 1605 bis 1665
um den Handel mit dem Osten, ...




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