Sonntag, 16. März 2014

David_Graeber_Schulden

Mit den Auszügen aus dem Buch von David Graeber - "SCHULDEN, die ersten 5000 Jahre" möchten wir das nächste bedeute Buch über das System unserer Zivilisation vorstellen.

Es war uns längst klar, dass die Schulden das Kernelement des Systems darstellen , das Buch von Graeber wäre eine Bestätigung, dass die Vermutung stimmt.

Die Auszüge sollen den Leser ermuntern das Buch in die Hände zu nehmen, das ist bestimmt ein bedeutendes Buch, die Auszüge können ihn auf keinem Fall ersetzen.









Buch

Ein radikales Buch: Graeber packt das Problem der Schulden an der Wurzel, indem er bis zu ihren Anfangen in der Geschichte zurückgeht.

Das führt ihn mitten hinein in die Krisenherde unserer Zeit: Von der Antike bis in die Gegenwart sind revolutionäre Bewegungen immer in Schuldenkrisen entstanden.
Graeber sprengt die moralischen Fesseln, die uns auf das Prinzip der Schulden verpflichten. Denn diese Moral ist eine Waffe in der Hand der Mächtigen. Die weltweite Schuldenwirtschaft ist eine Bankrotterklärung der Ökonomie. Der Autor enttarnt Geld- und Kredittheorien als Mythen, die die Ökonomisierung aller sozialen Beziehungen vorantreiben.

Im Kern ist dieses Buch ein Hohelied der Freiheit: Das sumerische Wort »amargi«, das Synonym für Schuldenfreiheit, ist Graeber zufolge das erste Wort für Freiheit in menschlicher Sprache überhaupt.

Autor

David Graeber, geboren 1961 in den Vereinigten Staaten, unterrichtete bis zu seiner umstrittenen Entlassung 2007 als Anthropologe in Yale und lehrt seither am Goldsmiths College in London. Graeber ist bekennender Anarchist und Mitglied in der »Industrial Workers of the World«. Sein Vater hat im spanischen Bürgerkrieg gekämpft, und er selbst hat fast zwei Jahre in einer direkte Demokratie praktizierenden Gemeinschaft auf Madagaskar gelebt. Graeber ist ein Vordenker der Occupy-Bewegung.












INHALT


1 Über die Erfahrung der moralischen Verwirrung                                                           7
2 Der Mythos vom Tauschhandel                                                                                      31
3 Ursprüngliche Schulden 57 4 Gewalt und Wiedergutmachung                                   94
5 Kurze Abhandlung über die moralischen Grundlagen ökonomischer Beziehungen  II3
6 Spiele mit Sex und Tod 162
7 Ehre und Entwürdigung 207
8 Kredit oder Edelmetall 268
9 Die Achsenzeit 282
10 Das Mittelalter 319
11 Das Zeitalter der kapitalistischen Imperien 390
12 1971 - Der Anfang von etwas, das noch nicht bestimmt werden kann 458
Anmerkungen 497
Bibliografie 571
Personenregister 619
Sachregister 623









KAPITEL 2

DER MYTHOS VOM TAUSCHHANDEL


S.53
    ... Aber den stärksten Schlag gegen die übliche Version der Wirtschaftsgeschichte brachte die Entschlüsselung zuerst ägyptischer Hieroglyphen und dann mesopotamischer Keilschriften. Sie widerlegte das gängige Verständnis der geschichtlichen Aufzeichnungen aus beinahe 3000 Jahren, von der Zeit Römers (um 800 v. Chr.), bis wohin man zu Adam Smith' Lebzeiten die Geschichte überblicken konnte, zurück bis etwa 3500 v. Chr. Aus diesen Texten ging hervor, dass Kreditsysteme von genau der beschriebenen um viele tausend Jahre älter waren als die Erfindung des Münzwesens.

    Das mesopotamische System ist am besten dokumentiert, noch besser als das ägyptische System aus der Pharaonenzeit (das offenbar ähnlich war), das System unter der chinesischen Shang-Dynastie (worüber wir wenig wissen) oder der Zivilisation im Indus-Tal (über die wir überhaupt nichts wissen). Zufällig wissen wir eine Menge über Mesopotamien, weil die große Mehrheit der Dokumente in Keilschrift finanzielle Angelegen­heiten betrifft.

    In der sumerischen Wirtschaft dominierten große Tempel- und Palast­anlagen. Zu ihnen gehörten oft viele tausend Menschen: Priester und Beamte; Handwerker, die in den verschiedenen Werkstätten arbeiteten; Bauern und Hirten, die große Flächen bewirtschafteten. Obwohl das Reich Sumer die meiste Zeit aus einer Vielzahl unabhängiger Stadtstaa­ten bestand, hatten um 3500 v. Chr., als der Vorhang über der mesopotamischen Zivilisation sich hebt, Tempelverwalter anscheinend schon ein einziges, einheitliches System der Buchführung entwickelt. Und es ist uns bis heute erhalten geblieben, weil wir den Sumerern bestimmte Din­ge wie das Rechnen mit Dutzend und den 24-Stunden-Tag verdanken.32 Die grundlegende Währungseinheit war der Silberschekel. Das Gewicht

S.54
eines Schekels in Silber wurde festgelegt als Äquivalent eines Gur oder eines Sacks Gerste, der etwa ein Volumen von 300 Liter umfasste. Ein Schekel war unterteilt in 60 Minen, die jeweils einer Portion Gerste entsprachen - nach dem Grundsatz, dass ein Monat 30 Tage hatte und Tempelarbeiter zwei Rationen Gerste am Tag bekamen. Wie leicht zu erkennen ist, war das »Geld« in diesem Fall keineswegs das Produkt kommerzieller Transaktionen. Beamte schufen es, um den Überblick über die Ressourcen zu behalten und Dinge zwischen den einzelnen Abteilungen hin- und herzubewegen.

     Die Tempelverwalter kalkulierten mit diesem System Schulden (Pacht, Gebühren, Kredite...) in Silber, und das war faktisch Geld. Und tatsäch­lich zirkulierte es in Form von unbearbeiteten Brocken, »ungeprägten Barren«, wie Adam Smith es nannte.33  Insofern hatte er recht. Aber das ist schon fast der einzige Teil seiner Darstellung, der zutrifft. Zum einen zirkulierte das Silber nicht in großen Mengen. Das meiste lagerte in den Schatzhäusern von Tempeln und Palästen; ein Teil davon blieb, sorgfältig bewacht, buchstäblich einige tausend Jahre dort liegen. Es wäre sehr leicht gewesen, die Barren zu standardisieren, zu stempeln und eine maßgebliche Instanz zu schaffen, die ihre Reinheit garantiert hätte. Die Technik dafür war vorhanden, doch niemand sah eine Notwendigkeit dafür, teils weil Schulden zwar in Silber berechnet wurden, aber nicht in Silber bezahlt werden mussten - sie konnten mit praktisch allem bezahlt werden, was man gerade zur Verfügung hatte. Bauern, die dem Tempel oder dem Palast oder einem Beamten des Tempels oder Palasts Geld schuldeten, bezahlten anscheinend meistens mit Gerste. Deshalb war es so wichtig, das Verhältnis von Silber zu Gerste genau festzulegen. Aber es war auch vollkommen in Ordnung, wenn der Schuldner mit Ziegen, Möbeln oder Lapislazuli kam. Die Tempel und Paläste waren große Wirtschafts betriebe - und hatten Verwendung für beinahe alles.34

    Auf den Märkten, die sich in den mesopotamischen Städten entwickel­ten, wurden die Preise ebenfalls in Silber kalkuliert, und die Preise von Waren, die nicht vollständig der Kontrolle durch die Tempel und Paläste unterlagen, schwankten je nach Angebot und Nachfrage. Aber selbst hier sprechen alle unsere Anhaltspunkte dafür, dass die meisten Trans­aktionen auf Kredit basierten. Händler (die manchmal für die Tempel arbeiteten, manchmal unabhängig) gehörten zu den wenigen Menschen, die tatsächlich häufig Silber bei ihren Geschäften verwendeten; aber





32 Die Tempel waren wohl zuerst da. Die Paläste, die im Laufe der Zeit immer wichtiger wurden, übernahmen denen Verwaltungssystem.
33 Smith dachte sich das nicht aus: Der geläufige Begriff dafür ist »Hacksiber« (vgl. zum Beispiel Balmuth 2001 )
























































erstellt von Johannes-Paul Wucherer jr. und Benedikt Zinser jr., 10.04.2014